Tillmann Lang, CEO von Inyova, schreibt warum es sich lohnt, Zeit, Energie und Geld in die Gleichberechtigung zu investieren.
Das Schweizerische Gleichstellungsgesetz wurde im Jahr 1961 in Kraft gesetzt. Trotzdem finden wir uns auch heute noch, knapp 60 Jahre später, vor Hürden, die uns auf dem Weg zur kompletten Gleichberechtigung behindern. Gleichzeitig ist die öffentliche Wahrnehmung sensibler und der Ruf nach sozialem, wirtschaftlichem und politischem Wandel lauter geworden.
Im Juni 2019 sind hunderttausende Frauen und Männer diesem Ruf zum #Frauenstreik auf die Strasse gefolgt. Die Ansage war klar: Gleiche Rechte und Privilegien zu gleichen Bedingungen. Für Frauen und Männer.
Dem Grossteil unserer Gesellschaft ist heute bewusst, dass die Geschlechterkluft ein Problem ist, für das wir eine Lösung finden müssen. Aber wie viele Menschen sehen die Gleichberechtigung auch als Chance? Naturgemäss bewegt sich die Wirtschaft mehr oder weniger im Gleichschritt mit dem sozialen Trend, zum Beispiel durch die Schaffung von Teilzeitstellen oder die Förderung einer geteilten Elternzeit. An zwei Punkten sehe ich besonderes Potenzial, sowohl aus wirtschaftlicher als auch persönlicher Perspektive:
1. Gleichberechtigung als Zündschnur für die Wirtschaft
Frauen stellen die Hälfte der Weltbevölkerung, aber tragen nur 37% zum globalen BIP bei. Experten schätzen, dass bei gleichen Möglichkeiten und Zugang zum globalen Wirtschaftssystem bis 2025 ein Minimum an 12 Billionen US Dollar in die globale Wirtschaft gespült werden könnten. Soviel zum (eindrücklichen) Big Picture. Aber werfen wir doch einen Blick auf die Schweiz.
Wusstest Du, dass es innerhalb von Familien in der Regel die Frauen sind, die über administrative Angelegenheiten und die Haushaltskasse entscheiden? Trotzdem mangelt es in der Schweiz an Frauen in wirtschaftlichen Entscheidungsfunktionen. Laut dem Schilling Report 2019, sind nur 24% der mittleren Managementpositionen in der Schweiz von Frauen besetzt, während 96% aller CEOs männlich sind. Im Prinzip bedeutet das, dass es Männer sind, die über das Sortiment für ein mehrheitlich weibliches Klientel entscheiden. Damit lassen wir uns eine riesige Gelegenheit entgehen, die nach mehr weiblichen Entscheidungsträgerinnen verlangt.
Zahlreiche Studien belegen, dass Frauen sich in einem Firmenumfeld besser und positiver entfalten, das sich für Geschlechterthemen stark macht. Accenture schätzt, dass Frauen in einer gender-positiven Arbeitsumgebung mit 280% mehr Wahrscheinlichkeit eine führende Position erreichen. Das Gute daran? Auch die Firmen profitieren davon. Die IMF Staff Studie hält fest, dass die Schliessung der Geschlechterkluft ein wichtiger Faktor für die Ausbildung neuer Kompetenzen, höhere Produktivität und ein wachsendes BIP ist.
Bevor jetzt Einwände meiner männlichen Kollegen kommen: Es gibt keinen Grund, sich ausgeschlossen zu fühlen! Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass auch wir Männer von einem ausgewogeneren Arbeitsumfeld profitieren. Das WEF rechnet vor, dass durch die steigende Produktivität auch die Löhne der Männer steigen.
Aber wie sieht so eine Kultur der Gleichberechtigung aus, und noch wichtiger, wie können wir sie erreichen? Hier kommen die Entscheidungsträger ins Spiel – am stärksten an den folgenden Stellen:
- Rekrutierungsprozesse müssen hinterfragt werden und auf die Schaffung diverser und vielseitiger Teams ausgelegt sein. Bei Inyova haben wir zum Beispiel gemerkt, dass wir Stellenausschreibungen anders formulieren müssen. Damit haben wir automatisch eine grössere Vielalt unter den Bewerberinnen und Bewerbern erreicht.
- Konsequent gleiche Bezahlung für vergleichbare Verantwortung. Das sollte eigentlich in jeder Firma, die sich für zeitgemäss und gerecht hält, Standard sein.
- Beim Thema Familie und Erziehung gilt es Diskriminierung zu eliminieren. Zum Beispiel durch die Schaffung flexibler Arbeitszeiten und Teilzeitstellen.
- Männer sollten ermutigt werden, ebenfalls Gebrauch der familienfreundlichen Richtlinien zu machen.
- Die Einführung von auf Frauen fokussierte Mentoring-Programme als Ausgleich für die informellen Netzwerke unter Männern, zu denen Frauen oft keinen Zugang haben.
Es ist klar, dass es mit einer Verringerung der Geschlechterkluft auf einem wirtschaftlichen Level viel zu gewinnen gibt. Aber es liegt auch an Entscheidungsträgern, diesen Wandel herbeizuführen. Trotzdem gibt es auf dem individuellen Level effiziente und schlagkräftige Mittel, wie auch Du zu diesem Wandel beitragen kannst. Das bringt uns zum zweiten Punkt.
2. Gleichberechtigung als Investment
Wir haben bereits gesehen, wie Gleichberechtigung sowohl zum individuellen Wohl als auch zu einer Verbesserung der Wirtschaft beitragen kann. Eine Studie der Credit Suisse aus dem Jahr 2016 belegt sogar, dass der Anteil an Frauen in Top Management Positionen zu grösseren Gewinnen für die Aktionäre führt. In Kombination mit den oben genannten Punkten würde das also bedeuten, dass eine Investition in die Gleichberechtigung eine der grössten Investmentchancen unserer Zeit ist.
Trotzdem finde ich es wichtig hier klarzustellen: Es geht hier nicht darum, aus einem sozialen Trend Profit zu schlagen. Sondern, das System zu verstehen und es zum Vorteil der Gesellschaft als Ganzes zu nutzen. Aber wie funktioniert das für das Individuum?
Erstens, als Investor hast Du die Wahl Dein Kapital zum Stimmzettel zu machen und die Firma, in die Du investierst, aktiv mitzugestalten. Zweitens, Deine Gewinne kommen von Firmen, die sich für gute Zwecke stark machen und von denen, wie im Fall der Gleichberechtigung, auch starke und gesunde Wirtschaftssysteme profitieren.
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