Der Schweizer Bundesrat hat einen ersten wichtigen Schritt in Richtung «nachhaltiger Finanzplatz Schweiz» unternommen – doch der Weg dorthin ist noch lang. Wenn wir fünf weitere Massnahmen ergreifen und diese konsequent befolgen, bleibt das Ziel aber in Sichtweite.
Die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung (SDGs) bilden das Kernstück der Agenda 2030, zu der sich alle UNO-Mitgliedstaaten verpflichtet haben. Zur Erreichung dieser Ziele müssen alle Länder nationale Massnahmen und Anpassungen vornehmen, um die drängenden Herausforderungen der Welt, wie Armut und Klimawandel, zu lösen.
Die UNO schätzt, dass jedes Jahr 2,5 Billionen Dollar aufgewendet werden müssen, um die Vorgaben zu erfüllen und eine nachhaltige Wirkung zu erzielen. Bereits jetzt fliessen jährlich 4 Billionen Dollar in nachhaltige Investitionen, und doch bleiben die SDGs unerreicht.
Dies zeigt sehr deutlich: Das nachhaltige Finanzwesen ist weit davon entfernt, die Probleme, mit denen wir zunehmend konfrontiert sind, erfolgreich zu lösen. Warum ist das so? Weil das gegenwärtige System Raum für Interpretationen und Schlupflöcher bietet. Die viel gepriesenen nachhaltigen ETFs sind nicht in der Lage, zur Lösung von Nachhaltigkeitsproblemen beizutragen. Die Innovation und Regulierung nachhaltiger Finanzen ist zur Erreichung der SDGs unerlässlich. Nun endlich hat der Schweizer Bundesrat ein erstes wichtiges Signal gesetzt.
Schweizerische Regulierung zur Förderung nachhaltiger Finanzen
In einem Ende Juni publizierten Bericht hält der Bundesrat fest, dass die Schweiz ein führender Standort für nachhaltige Finanzdienstleistungen werden soll (dieser Artikel zeigt auf, wieso die Schweiz dafür bestens aufgestellt ist). Zu diesem Zweck wurden die Rahmenbedingungen so gestaltet, dass die Wettbewerbsfähigkeit des Schweizer Finanzplatzes verbessert und gleichzeitig ein wirksamer Beitrag zur Nachhaltigkeit geleistet wird. Im Wesentlichen verfolgt der Schweizer Bundesrat die folgenden fünf Punkte:
- Qualität der Information. Allen Marktteilnehmern sollen bessere Umwelt- und Klimainformationen für Finanzprodukte und Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Transparenz und Vergleichbarkeit sind entscheidend. Zudem soll die Informationsqualität mittels standardisierter Definitionen und Reportings verbessert werden, die aufzeigen, was als nachhaltige Investition gilt und was nicht.
- Bildungsstandards für Finanzprofis. Darüber hinaus soll auch die Beratung durch die Finanzindustrie verbessert werden. Die Kunden müssen wissen, was mit ihrem Geld geschieht und wie jedes Finanzprodukt effektiv und effizient auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet ist. Dies erfordert, dass Finanzexperten besser ausgebildet werden und ihr Wissen an ihre Kunden weitergeben.
- Innovation und Nutzung digitaler Technologien. Um nachhaltige Veränderungen herbeizuführen, ist der Einsatz digitaler Geschäfts- und Analysemodelle von entscheidender Bedeutung und soll den Alltag der Finanzindustrie viel stärker als bisher begleiten. Gute Technologie spielt auch bei der Messung des nachhaltigen Fortschritts eine wichtige Rolle. Wir müssen innovativere Wege gehen.
- Berücksichtigung von Umwelt- und Klimarisiken. Nachhaltigkeitsrisiken sind finanzielle Risiken. Und doch werden sie in der konventionellen Risikobewertung nicht angemessen berücksichtigt. Diese müssen in Zukunft besser bewertet und kommuniziert werden.
- Exportfähigkeit und internationale Zusammenarbeit. Internationale Entwicklungen, wie z.B. in der EU, sind genau zu verfolgen, um sofort zu erkennen, welche Schritte zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich sind. Die Schweiz setzt sich weiterhin für die Exportfähigkeit von qualitativ hochstehenden Finanzdienstleistungen ein. Darüber hinaus unterstützt die Schweiz nachhaltige Finanzmärkte in internationalen Initiativen, in relevanten internationalen Finanzmarktgremien, sowie durch stärkeren Einbezug aller Akteure.
Ein guter erster Schritt, der jedoch noch weitere Dinge ins Rollen bringen muss
Diese Massnahmen sind sicherlich wichtig. Doch wenn unsere Finanzindustrie wirklich zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele beitragen soll, gehen sie nicht weit genug.
Der Schweizer Bundesrat sollte noch fünf weitere Massnahmen ergreifen:
1. Schlüsselmassnahme: Den Erfolg des nachhaltigen Finanzwesens an seiner Wirkung messen
Die wenigsten sogenannten “nachhaltigen Investitionen” haben einen positiven Einfluss auf Menschheit und Planet, wie Forscher der Universität Zürich herausgefunden haben. Um eine nachhaltige Wirkung zu erzielen, müssen wir anerkennen, dass das Finanzwesen für den sozialen Fortschritt eine entscheidende Rolle spielt. “Verantwortungsbewusstes Investieren” und “ESG-Investitionen” gehen in die richtige Richtung, tragen aber nicht genug zu den Problemen der realen Welt bei.
Gemäss Forscher Florian Heeb muss das nachhaltige Finanzwesen, um die Dinge tatsächlich ins Rollen zu bringen, Veränderungen in Unternehmen und der Wirtschaft insgesamt fördern, wie auch im öffentlichen Agenda-Setting Werte signalisieren. Zudem muss Kapital dorthin fliessen, wo ein derzeitiger Kapitalmangel die Geschäftstätigkeit von Organisationen mit positivem Impact behindert.
2. Schlüsselmassnahme: Alle Finanzprodukte zur Nachhaltigkeit verpflichten
In Branchen wie dem Gesundheitswesen, der Automobil-, Lebensmittel- oder Textilindustrie ist es mittlerweile normal, dass schädliche Produkte gesetzlich verboten oder eingeschränkt werden.
Bei Finanzprodukten sollte dies auch der Fall sein. Der Einfluss aller Finanzprodukte auf die Menschheit und den Planeten muss berücksichtigt werden. Die gesamte Finanzwirtschaft muss zur Nachhaltigkeit verpflichtet werden, genauso wie alle Autos sicher fahren müssen.
3. Schlüsselmassnahme: Konsumenten die Flexibilität bieten, von bestehenden Investitionen in nachhaltige Investitionen zu wechseln
Ein Grossteil an Kapital ist in Pensionskassen, Lebensversicherungen und anderen Anlageprodukten gebunden. Leider können Konsumenten oftmals nicht sehen und entscheiden, wie nachhaltig ihre Investitionen sind. In den Händen von Vermögensverwaltern finanziert ihr Geld oft Dinge, mit denen sie selbst niemals einverstanden wären.
Regulatorische Rahmenbedingungen müssen den Konsumenten die Entscheidungsfreiheit zu den Auswirkungen ihres Geldes gewährleisten. Dazu gehört die Flexibilität, bei langfristigen Investitionen den Anbieter zu wechseln, insbesondere wenn dieser keine Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit macht.
4. Schlüsselmassnahme: Kontinuierliche Verbesserung der Standards zur Messung der Nachhaltigkeitswirkung
Alle Marktteilnehmer sollten für ihre Auswirkungen verantwortlich sein. Dazu gehören Finanzakteure, Unternehmen und die Projekte, in die sie investieren. Eine genauere Betrachtung der Geschäftstätigkeit von Unternehmen ist notwendig und bietet den Investoren eine bessere Grundlage zur Entscheidungsfindung.
Wichtige Fragen sind: Was ist der “Handabdruck” jedes Unternehmens, d.h. welche wichtigen Fragen behandelt das Unternehmen mit seinen Produkten und Dienstleistungen? Und was ist sein “Fussabdruck” – wie wickelt es seine Geschäfte ab? Berücksichtigt es CO2-Emissionen, Gleichberechtigung der Geschlechter, gerechte Löhne und Menschenrechte? Auch hier muss die Messung ständig optimiert werden, um aktuelle blinde Flecken zu beseitigen.
5. Schlüsselmassnahme: Den Einfluss der Aktionäre stärken
Schliesslich bedeutet Investieren Miteigentum und somit Macht und Verantwortung. Im letzten Jahrhundert war es normal (und sogar erforderlich), dass Aktionäre ihrer Verantwortung als Eigentümer gerecht werden. Heutzutage distanzieren strukturierte Produkte und kollektive Investitionen den Anleger von seiner Investition.
Die Ausübung ihrer Rechte muss für Aktionäre und Anleger einfacher werden. In dieser Hinsicht ist die EU uns einen Schritt voraus. Die Schweiz muss dem Beispiel der EU-Aktionärsrechtsrichtlinie II folgen.
Eine nachhaltigere Zukunft ist ohne Einbezug der Finanzindustrie unmöglich. Leider sind die heutigen Finanzmärkte von echter Nachhaltigkeit noch weit entfernt. Wir brauchen strengere Vorschriften und bessere Kontrollen, mehr Transparenz und eine Verlagerung von Verantwortung. Vermögensverwalter sollten Investoren befähigen, anstatt sie von ihren Investitionen zu distanzieren. Wenn wir es mit der nachhaltigen Finanzwirtschaft ernst meinen, dann hat die Schweiz die Chance, zum führenden nachhaltigen Finanzplatz zu werden – vielleicht sogar zum Sustainable Finance Valley der Zukunft.